Grenze zwischen Kreuzlingen und Konstanz | Bildrechte: Ines Njers

Corona und die Grenze – Freiheit versus Gesundheit?

Auf einmal war sie zu: Wo sonst Konstanzer und Kreuzlinger, Deutsche und Schweizer ihre Nachbarn besuchen kommen, wurden die Grenzen zu gemacht. Die Schließung der Grenze hatte starke Auswirkungen auf den Alltag der Bürgerinnen und Bürger der Stadt, und der errichtete Grenzzaun (siehe Bild) wurde zum Symbol dafür. Mit Hilfe der Befragungswellen zur Coronasituation konnte die Akzeptanz der Grenzschließung über den Zeitraum hinweg geschätzt werden.

Die Nähe zur Schweizer Nachbarstadt Kreuzlingen kennzeichnet das Leben in Konstanz in besonderem Maße. Viele Menschen passieren täglich die Grenzen, um zur Arbeit zu kommen (im ersten Quartal dieses Jahres pendelten immerhin 10.170 Grenzgängerinnen und Grenzgänger aus dem Landkreis Konstanz in die Schweiz1), Freunde zu besuchen, einzukaufen oder nur einen Ausflug zu machen. Durch die Corona-Pandemie hat sich die Grenzsituation allerdings schlagartig geändert: Grenzübertritte waren nur noch aus triftigem Grund möglich: Arbeitspendeln war zwar weiter gestattet, allerdings streng kontrolliert. Freunde besuchen, einkaufen, ein Ausflug – war mit der Grenzschließung unmöglich. Transnationale, unverheiratete Liebespaare mit zwei Wohnsitzen waren mit der Grenzschließung plötzlich getrennt, durften sich – wie auch überregionale Medien berichteten2 – nicht einmal am Grenzzaun berühren. Denn die Grenze zwischen Konstanz und Kreuzlingen wurde durch einen doppelten Metallzaun, der teils aus der Luft patrouilliert wurde, zur Eindämmung der Corona-Pandemie gesichert. So war das Wiederentfernen dieser Zäune für viele Konstanzer/innen nach rund zwei Monaten dringlich ersehnt.

Die Teilnehmenden der Konstanzer Bürgerbefragung wurden mehrfach mit zeitlichem Abstand zur Akzeptanz der Grenzschließung befragt. Mit diesen Daten kann nun die Entwicklung der Einschätzungen zur Grenzschließung nachgezeichnet werden.

Sinkende Akzeptanz der Grenzschließung über die Zeit

Die Grenzschließung befand zum Zeitpunkt der ersten Befragungswelle (Ende März/Anfang April 2020) eine große Mehrheit der Befragten als gerechtfertigt, um die Ausbreitung des Virus einzudämmen, allerdings in deutlich geringerem Ausmaß als dies für das Verbot von Großveranstaltungen, die Umsetzung von Homeoffice (sofern möglich) und die allgemeine Kontaktbeschränkung galt. In Zahlen ausgedrückt: Die Grenzschließung fanden mehr als drei Viertel der Befragten (77 Prozent) eher oder vollkommen gerechtfertigt, während dies für 98 Prozent hinsichtlich des Verbots von Großveranstaltungen und für 92 Prozent bei den Kontaktbeschränkungen zutraf. Ältere Befragte sahen in der Grenzschließung tendenziell stärker als jüngere eine gerechtfertigte Maßnahme.

Genauere Analysen zeigen, dass die Einschätzung der Grenzschließung als berechtigte Maßnahme deutlich mit dem Vertrauen in politische und wissenschaftliche Institutionen einhergeht. Je höher das Vertrauen in die Institutionen, desto berechtigter wird die Grenzschließung eingeschätzt. Dagegen wird die Maßnahme eher von denjenigen als belastend empfunden, die in der Zeit der starken Corona-Einschränkungen den Mangel an sozialen Kontakten als wichtige Beeinträchtigung ihres Wohlbefindens benennen (immerhin ein Drittel der Befragten, während der Durchschnitt bei rund einem Viertel lag).

Zuletzt differenzierte sich das Meinungsbild jedoch. Zehn Wochen nach Beginn des Lockdowns waren die Teilnehmenden der Bürgerbefragung etwas skeptischer, ob die Grenzschließung als Maßnahme zur Eindämmung der Pandemie wirklich sinnvoll war. Zwar sahen von Anfang Juni rückblickend zwei Drittel der Befragten – und damit immer noch die deutliche Mehrheit – die Grenzschließung als sinnvoll an, der Anteil der Skeptiker stieg jedoch (auf etwa 20 Prozent) an. Gleichzeitig halten auch nach Aufhebung der strikten Grenzschließung immerhin 40 Prozent der Befragten Grenzkontrollen weiterhin für sinnvoll (Abbildung 1).

Diese beiden Ergebnisse spiegeln das Spannungsverhältnis zwischen dem Wunsch nach Wiederherstellung der Freizügigkeit und dem Wunsch nach einer effektiven Eindämmung der Pandemie durch Reise- und Kontaktbeschränkungen wider. Gerade in Grenzregionen ist beides gleichzeitig schwer zu erreichen. Die jüngsten regionalen Ausbrüche von Infektionen in Deutschland versucht man, mit Priorität vor Ort einzudämmen – mittels Reisebeschränkungen für die Bewohner/innen von Landkreisen, teilweise sogar von Straßenzügen. Sollte es zu einer zweiten Welle von Infektionen in Süddeutschland bzw. der Schweiz kommen, wären – aus Konstanzer Sicht und dies lässt sich auch auf andere Grenzregionen übertragen – lokal und regional begrenzte Maßnahmen ohne die Schließung aller Grenzübergänge eine weniger drastische, trotzdem effektive Option. Weniger die nationale Abschottung an der staatlichen Außengrenze als vielmehr die Einhegung regionaler Infektionsherde könnten zukünftige Maßnahmen legitimieren.

Mit den Befragungsdaten lässt sich weiterhin feststellen, ob sich die Einschätzungen zur Bedeutung der Staatsgrenzen in der Infektionsbekämpfung zwischen sozialen Gruppen unterscheiden. Die Analysen zeigen, es gibt keine klaren Alters- und Geschlechterunterschiede. Allerdings zeigt sich eine Tendenz nach dem Bildungsstand: Es sind eher die besonders gut gebildeten Personen (Fach-/Hochschulabschluss), die weiteren Kontrollen skeptischer gegenüberstehen. Diese Unterschiede nach Bildung wer­den allerdings deutlich überlagert von der allgemeinen Wahrnehmung der Bedrohungssituation. Diejenigen Personen, die die Lockerungspolitik als zu früh und zu weitreichend empfinden, befürworten erwartungsgemäß sehr deutlich ein strikteres Grenzregime. Umgekehrt befürworten Personen, die durch die Corona-Maßnahmen die Demokratie in Deutschland geschwächt sehen, eher ein schwächeres Grenz­regime. Dies wird in Abbildung 2 mit den Schätzungen aus einem Regressionsmodell verdeutlicht, in dem die weiteren Kategorien der Einstellungsmessungen verzeichnet sind.

Insgesamt verdeutlichen diese Analysen, dass solange die Pandemiesituation als kritisch eingeschätzt wird, die Menschen einer Rückkehr in die grenzenlose Welt vor dem Ausbruch der Pandemie eher skeptisch gegenüberstehen. Möglicherweise gelingt in dem Fall einer zweiten Infektionswelle den Regierungen in Berlin und Bern die oben bereits erwähnte, stärker regional begrenzte Eindämmungspolitik ohne allgemeine Grenzschließungen.

1 Schweizer Bundesamt für Statistik

2 Vgl. hierzu: https://www.tagesschau.de/ausland/debatte-corona-grenzen-101.html